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      „Wir brauchen klare ethische Regeln“

      Als „Begegnung zweier Welten“ beschrieb VDA-Präsident Matthias Wissmann die dritte Veranstaltung im Rahmen der Dialogreihe der Initiative „Mobilität von morgen“. Er hatte nicht zu viel versprochen: Der Chef eines der größten Automobilzulieferers der Welt traf auf einen der renommiertesten Philosophen auf dem Gebiet der digitalen Ethik. Entsprechend spannend war die Diskussion zwischen Dr. Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender der Continental AG, und dem Wissenschaftler Prof. Rafael Capurro. Die Debatte drehte sich an diesem Abend um die Frage, wie die fortschreitende Automatisierung  die Mobilität verändert – und vor allem, wer die Verantwortung trägt, wenn die Fahrer zunehmend die Kontrolle über ihr Fahrzeug abgeben.

      Die Diskussion zwischen den beiden Experten verdeutlichte, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt. Wir befinden uns mitten in der Entwicklung hin zum vollautomatisierten und autonomen Fahren, bei dem die Fahrer in Extremsituationen nicht mehr die Verantwortung für das Verhalten des Fahrzeugs haben. Doch wer entscheidet über die Leitlinien für solche automatisierten Fahrsysteme? „Solange Elektronik programmiert wird, treffen diese Entscheidungen unsere Software-Entwickler“, sagte Continental-Chef Elmar Degenhart. „Die können wir damit nicht alleine lassen. Wir brauchen klare ethische Regeln für deren Programmierungen.“

      Moralische Verantwortung lasse sich nicht „weg-algorithmisieren“, gab dagegen der Philosoph Rafael Capurro zu bedenken. Vor allem nicht bei einer so komplexen Sache wie dem Straßenverkehr. „Wir können nicht jede Situation, die eintreten kann, vorhersagen“, sagte er. Zudem gebe es so viele kulturelle Unterschiede auf der Welt, dass es unmöglich sei, universelle Regeln aufzustellen. „Das menschliche Nachdenken über die Moral lässt sich nicht ersetzen.“

      Degenhart stimmte zu, dass man nicht alle Situationen „durchprogrammieren“ könne. Doch er zeigte sich optimistischer als Capurro, das Dilemma künftig auflösen zu können. „Wir brauchen einen gewissen Pragmatismus“, sagte er. Für ihn bedeute dies, sich an zwei grundlegenden Regeln zu orientieren, nach denen automatisierte Systeme Entscheidungen treffen sollten: Erstens, immer versuchen, eine Kollision zu verhindern. Oder zweitens, wenn das nicht möglich ist, die Geschwindigkeit des Fahrzeugs so weit wie möglich zu vermindern.

      Dass es sich lohnt, trotz dieser Herausforderungen das assistierte und automatisierte Fahren voranzutreiben, hatte Degenhart zu Beginn des Abends in seinem Impulsvortrag gezeigt. So könne die fortschreitende Automatisierung dazu beitragen, die Zahl von rund 1,3 Millionen Verkehrstoten weltweit pro Jahr deutlich zu senken . „Unfälle gehören ins Museum, weil wir die Technologie haben, sie zu vermeiden“, sagte er. Zum anderen könne das assistierte und automatisierte Fahren sowie die Vernetzung mit der Infrastruktur  eine bessere Verkehrsführung ermöglichen – und damit Zeit und Nerven sparen. Immerhin stehe heutzutage jeder Mensch im Schnitt rund 1,5 Jahre seines Lebens im Stau.

      Was also tun? Degenhart begrüßte die Gründung einer Ethikkommission zum automatisierten Fahren durch den Bundesverkehrsminister als ersten Schritt in die richtige Richtung. „Wenn die Technik soweit ist, müssen wir Regeln verfügbar haben.“ Jedoch wäre der Industrie vor allem „mit wenigen grundsätzlichen Regeln“ geholfen. Zudem brauche man internationale Lösungen.

      Capurro plädierte ebenfalls für die Schaffung von Beratungsgremien, in denen rechtliche und ethische Fragen der digitalen Mobilität international und interkulturell besprochen werden. Nur gemeinsam könne man Lösungen finden, denn die Herausforderung sei groß: Zwischen dem Extrem, auf Automatisierung zu verzichten und dem Extrem, den Algorithmen die Macht zu überlasen, müsse eine Mitte gefunden werden. Das sei ein Prozess, der Zeit brauche.

      Umso wichtiger, dass die deutsche Automobilindustrie bereits jetzt über diese Fragen nachdenkt – auch wenn laut Degenhart mit dem vollautomatisierten Fahren nicht vor 2025 zu rechnen sei. „Die Fahrer dürfen nicht schon vorher das Vertrauen verlieren. Es geht also nicht um Schnelligkeit, sondern um Zuverlässigkeit und Robustheit“, sagte er. So bliebe also zumindest noch etwas Zeit, Antworten auf die Fragen zu finden, die an diesem Abend aufgeworfen wurden.