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      Pressemeldung
      09. Juli 2020

      „Die größte Herausforderung, der sich Reifen jemals im Motorsport stellen mussten“

      • Continental-Spezialreifen für den E-Renn-Boliden ODYSSEY 21
      • Neue Rennserie startet im März 2021 am Lac Rose im Senegal
      • Interview mit Nico Meier, Produktdesigner bei Continental

      Hannover, im Juli 2020. Continental ist Gründungspartner und ab 2021 Premiumsponsor der Extreme-E-Rennserie. Das Technologieunternehmen wird alle Fahrzeuge der Rennen mit Reifen für die unterschiedlichen und sehr anspruchsvollen Einsätze ausstatten.

      Im Interview spricht Nico Meier, Produktdesigner bei Continental, über die besonderen Herausforderungen, denen Reifen in dieser Rennserie ausgesetzt sind, die Bedeutung der Reifen-Seitenwand im Allgemeinen und seine Rolle bei der Seitenwandgestaltung des Extreme-E-Reifens im Besonderen.

      Continental: Herr Meier, welche Aufgabe hat die Seitenwand eines Reifens aus Sicht eines Technikers?

      Nico Meier: Die Seitenwand spielt im Gesamtkonstrukt eines Reifens im wahrsten Sinne des Wortes eine tragende Rolle. Moderne Mittelklassefahrzeuge verfügen heute regelmäßig über ein zulässiges Gesamtgewicht von 1.500 bis fast 2.000 Kilogramm. Die zunehmend beliebten SUVs kommen auf drei Tonnen. Das entspricht in etwa dem Gewicht eines ausgewachsenen Flusspferdes.

      ContinentalAber das ganze Gewicht lastet doch nicht ausschließlich auf der Seitenwand des Reifens, oder?

      Nico Meier: Nein. Tatsächlich ist die Seitenwand sogar das schwächste Bauteil, verglichen mit der Lauffläche, die das Fahrzeug mit der Fahrbahn verbindet – oder dem Wulst, der den Reifen auf der Felge hält. Deshalb soll man ja auch keinen Hochdruckreiniger aus kurzer Entfernung auf die Flanke richten. Sie könnte tatsächlich beschädigt werden. Das tragende Element im Reifen ist im Wesentlichen die unter Überdruck eingeschlossene Luft oder ein Gasgemisch. Techniker berechnen das Tragvermögen einer idealen Membran nach der Funktion „Innendruck x Kontaktfläche“. Beim Reifen kommt durch die steife Schalenstruktur ein zusätzlicher Traganteil von 10 bis 15 Prozent hinzu.

      ContinentalDas klingt nach einer überraschend einfachen Formel. Ist es wirklich so simpel?

      Nico Meier: Im Prinzip, ja. Die Tragfähigkeit eines Reifens hängt entscheidend vom Innendruck ab. Die Seitenwand ist das wesentliche Element in der Schalenstruktur. Damit hat sie auch Einfluss auf die Tragfähigkeit und kann in geringem Umfang auch Minderdruck kompensieren. Reifen mit SSR-Technologie (Self Supporting Runflat) haben beispielsweise eine verstärkte Seitenwand. Deshalb kann man damit selbst bei komplettem Druckverlust noch mit geringer Geschwindigkeit bis zur nächsten Werkstatt weiterfahren. Der entscheidende Faktor ist aber der Innendruck. Deshalb sollte übrigens auch einleuchten, warum ein zu geringer Luftdruck zu einer tödlichen Gefahr werden kann. Ein großer Teil aller Unfälle, die durch defekte Reifen verursacht wurden, sind auf zu geringen Luftdruck zurückzuführen. Es macht wirklich Sinn, einmal pro Woche den Luftdruck zu überprüfen.

      ContinentalDann wäre es generell besser, wenn die Seitenwand stabiler ausgelegt ist, oder?

      Nico Meier: Eine stabile Seitenwand hat Vorteile – nicht nur mit Blick auf den Hochdruckreiniger. Beim Reifen hängt aber immer alles mit allem zusammen, und so erfüllt die Seitenwand im Gesamtkonzept nicht nur eine tragende Rolle. Gemeinsam mit dem Gürtel hat sie unter anderem wesentlichen Einfluss auf die Handling-Eigenschaften eines Fahrzeugs. Ein verhältnismäßig steifer Aufbau reduziert die Verformung des Reifens bei der Kraftübertragung – also beim Beschleunigen, Bremsen und Kurvenfahren. Das begünstigt die Handling-Eigenschaften und erhöht die möglichen Kurvengeschwindigkeiten. Aber ein zu steif ausgelegter Reifen kann nicht mehr einfedern und wirkt sich damit beispielsweise negativ auf den Komfort aus.

      ContinentalUnd warum benötigt die Seitenwand eine Gestaltung?

      Nico Meier: Dafür gibt es im wesentliche zwei Gründe. Erstens fordert der Gesetzgeber von den Herstellern eine Vielzahl von Angaben. Die sollen unter anderem die Verkehrssicherheit erhöhen indem sie vermeiden helfen, dass an einem Fahrzeug Reifen montiert werden, die dafür aufgrund ihrer Größe oder Beschaffenheit nicht geeignet sind. Beispielsweise sind Pneus, die vom Hersteller von der Tragfähigkeit her für Kleinwagen ausgelegt werden, für eine schwere Limousine der Oberklasse völlig ungeeignet. Und zweitens verbinden Hersteller mit der Gestaltung eigene marketingstrategische Ziele wie beispielsweise Markenpräsenz und  Wiedererkennung.

      ContinentalWelche Vorgaben gibt es vom Gesetzgeber?

      Nico Meier: Das sind vor allem technische Hinweise wie Reifenbreite, Höhe-Breite-Verhältnis, Felgendurchmesser, Lastindex, Geschwindigkeitsfreigaben. Aber auch Angaben zum Einsatzzweck. Handelt es sich beispielsweise um einen Sommer-, einen, Winter- oder einen Ganzjahresreifen? Auch das Produktionsdatum gehört dazu, das Herstellungsland und Genehmigungsnummern. Bei laufrichtungsgebundenen Pneus gibt es außerdem einen Hinweis darauf, wie der Reifen zu montieren ist. Und damit die vom Gesetzgeber geforderten Informationen klar von den weiteren abgegrenzt werden, ist die Seitenwand in zwei Zonen geteilt: den inneren und den äußeren Ring. Die gesetzlich geregelten Elemente finden sich im inneren Ring. Das ist der, der näher an der Felge liegt. Gestalterisch haben wir darauf so gut wie keinen Einfluss.

      ContinentalAn welchen marketingstrategischen Gesichtspunkten orientiert sich Ihre Arbeit?

      Nico Meier: Dabei geht es – wie schon gesagt – vor allem um die Wiedererkennbarkeit. Autofahrer, die einen Reifen von Continental kaufen, erwerben ein Premiumprodukt von höchster Qualität, das seine weit überdurchschnittliche Performance in den Vergleichstests der automobilen Fachpresse bewiesen hat. Also legen wir Wert darauf, dass man dem Reifen seine Herkunft auch ansieht. Der Markenschriftzug und der Produktname sind deshalb wichtige Gestaltungselemente, die vom Betrachter auf Anhieb erkannt werden sollen. Ergänzt wird die Seitenwand durch spezielle Design-Elemente. Diese heben wichtige Eingeschaften des Reifens hervor, visualisieren Andwendungsbereiche und unterstreichen die Einzigartigkeit eines Produkts.

      ContinentalSie haben auch den Reifen gestaltet, der von Continental exklusiv an die Teams der neuen Rennsportserie Extreme E geliefert wird. Was unterscheidet diesen Reifen von herkömmlichen Pneus.

      Nico Meier: Der Reifen ist während der Rennen viel größeren Belastungen ausgesetzt als irgendein anderer Reifen. Das liegt zum einen an den eingesetzten Fahrzeugen. Der speziell entwickelte ODYSSEY 21, der von allen Teams gefahren wird, ist ein außergewöhnliches Fahrzeug, das zwar in Länge, Breite und Gewicht in etwa handelsüblichen SUVs entspricht, mit seinem elektrischen Äquivalent von 550 PS allerdings über das Dreifache des Drehmoments des Formel-E-Gen-2-Fahrzeugs verfügt. Zum anderen finden die Rennen nicht auf genormten Rennstrecken mit vergleichbaren Fahrbahnbelägen statt, sondern in einer natürlichen Umgebung mit wechselnden und sehr verschiedenen Untergründen: Sand, Geröll, Schlamm, Eis, um nur einige zu nennen. Hinzu kommt die allgemeine Rennsituation mit extremen Beschleunigungen, heftigen Bremsmanövern, hohen Geschwindigkeiten auch in eng gesteckten Kurven, Driftbewegungen und sogar Sprüngen. Wir haben es mit der größten Herausforderung zu tun, der sich Reifen im Motorsport stellen müssen. Mit Hilfe der ContiPressureCheck-Technologie sollen deshalb Reifendaten wie Luftdruck und Temperatur für die Fahrer während der Rennen auf einem Bildschirm im Cockpit angezeigt werden, damit sie ihre Fahrweise in Extremsituationen anpassen können.


      ContinentalDie Herausforderungen an die Reifen sind von Rennen zu Rennen sehr verschieden, weil die Austragungsorte so verschieden sind. Mal geht es durch die Wüste, ein anderes Mal durch den Regenwald oder sogar durch die Arktis. Gibt es für jedes Rennen einen speziellen Reifen?

      Nico Meier: Nein. Wir haben auf Basis des bewährten Continental CrossContact einen Reifen entwickelt, der an allen Veranstaltungsorten und unter allen Umständen funktionieren soll. Es gibt also weder einen speziellen Wüstenreifen noch einen speziellen Polarreifen. Es ist außerdem nicht vorgesehen, für jeden Start immer neue Reifen aufzuziehen. Das würde dem Nachhaltigkeitsanspruch der Rennserie auch nicht gerecht werden. Die Reifen unterscheiden sich also auch optisch nicht voneinander.

      ContinentalGibt es für solche speziellen Produkte auch gesetzliche Vorgaben für die Seitenwandgestaltung?

      Nico Meier: Nein. Dennoch tragen auch die Reifen für die Extreme-E-Rennserie am Felgenrand ein paar wichtige Hinweise – zum Beispiel „Only for Racing“, damit klar ist, dass dieser Reifen nicht über den Handel erworben werden kann. Da dieser innere Ring entsprechend klein ist, bleibt uns mehr Platz für die individuelle Gestaltung. Das ist ein seltener Glücksfall, den es zu nutzen galt.

      ContinentalWas sofort ins Auge springt, ist die ungewohnte Farbigkeit…

      Nico Meier: Das Design des Reifens ist in vier Zonen geteilt. Eine Zone enthält den Schriftzug Continental, eine den Produktnamen CrossContact – beides in Conti-Gelb. Dazwischen jeweils Zonen mit mehrfarbigen Strukturen. Diese Farbigkeit ist ein auffälliger Kontrast zu herkömmlichen Reifen. Dafür haben wir uns aus zwei Gründen entschieden. Erstens werden diese Reifen – anders als die Produkte im Handel – nur selten aus der Nähe zu sehen sein. Durch die farbige Hervorhebung erzielen wir eine verbesserte Wahrnehmbarkeit auf größere Entfernungen sowie in den digitalen Medien. Und zweitens wollen wir mit der Farbigkeit der Design-Elemente die extreme und atemberaubende Natur widerspiegeln, in der die Rennen ausgetragen werden. Grün ist die Farbe des Regenwaldes, Gelb steht für Wüstensand und Sandstein-Gebirge, Blau für den Ozean und Weiß für die Arktis. Außerdem haben wir einen 3D-Effekt kreiert, der den Elementen das Aussehen einer Schutzschicht verleiht – ähnlich einer Drachenhaut oder dem Schuppenpanzer einer Echse. Damit unterstreichen wir den äußerst robusten und widerstandsfähigen Charakter des Reifens. Während der Rennen entsteht durch die Rotation ein faszinierender Fließeffekt.

       

      Wie kommt die Farbe auf den Reifen?

      Nico Meier: Wir verwenden dafür die so genannte Post-Cure-Technologie. Dabei werden Labels mit farbigen Elementen nachträglich auf die Seitenwand des Reifens gedruckt. Dieses Verfahren bietet mir als Designer ganz neue Möglichkeiten, um Informationen über das Produkt bildlich darzustellen. Für die Labels wird eine speziell entwickelte Farbmischung verwendet, die sich durch eine starke Haftung am Reifen auszeichnet und somit für die Rennserie gut geeignet ist.

      Ein Rennreifen ist anderen Belastungen ausgesetzt als ein gewöhnlicher Reifen. Mussten Sie das bei der Gestaltung in irgendeiner Weise berücksichtigen? 

      Nico Meier: Die extremen Belastungen führen dazu, dass der Reifen während der Rennen verhältnismäßig starke Verformungen erfährt. Dadurch entstehen auch erhebliche Temperaturen. Wir können nicht ausschließen, dass die Design-Elemente Schaden nehmen. Zumal ja auch Abschürfungen bei unbeabsichtigten Kontakten mit der Fahrzeugumgebung denkbar sind. Wir sind deshalb dabei, spezielle Reparaturkids für die Seitenwandgestaltung zu entwickelt, mit denen wir Reifen, die während der Rennen nur optisch in Mitleidenschaft gezogen wurden, zwischen den einzelnen Etappen vor Ort wieder herrichten können. Das entgültige Konzept dafür steht aber noch nicht fest.

      ContinentalKönnte das Farbgebungsverfahren auch für herkömmliche Serienprodukte eingesetzt werden?

      Nico Meier: Ja. Das wäre ohne weiteres möglich. Wir sehen solche Anwendungen ganz besonders bei „special interest“ Reifen wie zum Beispiel Off-Road-Reifen oder Rennreifen mit Straßenzulassung. Standardreifen werden sicher auch in Zukunft in schlichtem Schwarz erstrahlen.

      Vielen Dank für das Interview, Herr Meier.

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