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      „Innovation braucht neue Spielregeln“

      Der korrekte Umgang mit geistigem Eigentum spielt für hochinnovative Unternehmen wie Continental eine wichtige Rolle. Patentexperte Dr. Roman Bonn, Leiter des Gewerblichen Rechtsschutzes bei Continental, erklärt im Interview worauf es im Zeitalter des Connected Car besonders ankommt.

      Was ändert sich für Continental, wenn es bei Erfindungen nicht mehr nur um Hard- sondern immer öfter um Software- und Vernetzungstechnologie geht?

      Immer mehr Software und Elektronik im Auto bedeutet, dass wir es auch mit immer mehr technischen Standards zu tun haben. Die einzelnen Komponenten müssen  interoperabel, also schnittstellenfähig sein. Das heißt der Austausch findet über zuvor definierte technische Standards – wie zum Beispiel 4 G oder 5G statt. Aber auch Bluetooth zum Beispiel ist ein solcher Standard. Damit gibt es zwar eine verbindliche Lösung für alle – aber eben auch nur noch eine einzige. Ein Monopol. Das hat Konsequenzen für alle, die diesen Standard – und damit alle Erfindungen und Patente, die darin vorkommen – nutzen wollen.

      Was heißt das konkret? Sind Standards ein Problem?

      Nein, Standards an sich sind sinnvoll. Sonst gäbe es zig unterschiedliche, nichtkompatible Lösungen – auch für Verbraucher. Denken sie nur an Ladekabel und Stecker für Smartphones oder Elektroautos. Standards machen das Leben in vielerlei Hinsicht einfacher. Und im Prinzip gibt es Regeln, die einen fairen Umgang mit geistigem Eigentum in standardisierter Technologie sicherstellen sollen: Wer ein Patent auf eine Erfindung besitzt, die Teil des technischen Standards ist, kann sich erstmal freuen: Alle werden seine Lösung nutzen und deshalb eine Nutzungslizenz anfragen. Weil es aber unfair wäre, sich im Sinne aller erst auf eine gemeinsame Lösung zu einigen – was ja heißt, dass viele andere auf ihre Lösung verzichten – und dann hohe Lizenzgebühren dafür zu verlangen, gibt es die so genannte FRAND-Regel.

      FRAND – wofür steht das?

      Fair, reasonable and non-discriminatory – also fair, angemessen und nicht-diskriminierend. Nach diesem Prinzip müssen Inhaber von Patenten, die im Standard implementiert sind – so genannte standardessentielle Patente, kurz SEP – jedem, der eine Lizenz für ein solches SEP haben will, auch eine geben. In der Theorie klingt das sehr gut geregelt, in der Praxis landen die Fälle leider oft vor Gericht. Es ist nicht eindeutig definiert, was fair, angemessen und nicht-diskriminierend bedeutet. Wir brauchen dringend neue Spielregeln für Innovationen, wenn wir wollen, das europäische Tech-Unternehmen und Zulieferer wie Continental im Bereich der Vernetzung und dem Internet der Dinge für Wachstum und Arbeitsplätze sorgen.

      Warum sind gerade Mobilfunkpatente so wichtig für moderne Fahrzeuge?

      Viele moderne Funktionen wie Navigation mit Echtzeit-Daten, Over-the-Air-Updates, Fahrzeug-Ferndiagnose, Verkehrs- oder Echtzeit-Flottenmanagement, Sicherheitssysteme auf Basis mobiler Fahrzeug-zu-X-Kommunikation oder der automatische Notruf, das so genannte eCall-System, das in der EU seit März 2018 für Neuwagen Pflicht ist, sind ohne drahtlose Vernetzung – also Mobilfunk – nicht möglich. Weiter gedacht geht es aber nicht nur um vernetzte Fahrzeuge, sondern vernetzte Geräte und Maschinen aller Art. Das Problem der Patente betrifft also alle, die das Internet der Dinge vorantreiben, weil sie Mobilfunkstandards wie LTE nutzen müssen.

      Wer bestimmt eigentlich, was Standard ist und ob ein Patent wirklich essentiell für einen technischen Standard ist?

      Standards werden von Standardisierungsgremien beschlossen. In diesen Organisationen sitzen verschiedene Branchenvertreter. Ob ein Patent essentiell für den Standard ist, prüft zunächst niemand. Die Erfinder/Inhaber der Patente deklarieren selbst, welche Patente standardessentiell sind. Ob dem wirklich so ist, kommt oft erst ans Licht, wenn der Fall vor Gericht landet. Dann prüfen Richter, ob das Patent „rechtsbeständig“ ist, wie es im Juristen-Jargon heißt. Viele  der als SEP deklarierten Patente halten dieser Prüfung tatsächlich nicht stand. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. 

      Was passiert, wenn es keine klaren Regeln gibt, unter welchen Bedingungen ein Unternehmen eine Lizenz für standardessentielle Patente bekommen kann?

      Dann werden Tech-Unternehmen in Europa, die für ihre Neuentwicklungen standardessentielle Patenten anwenden müssen, über kurz oder lang immer weniger Innovationen hervorbringen. Wir sehen das Problem auf viele europäische Tech-Unternehmen zukommen, die auf dem Gebiet der Vernetzungstechnologien und im Bereich des Internets der Dinge aktiv sind. Es wird für sie entweder zu teuer oder gar nicht möglich sein, neue Ideen auf Basis von Standards hervorzubringen. Am Schluss bezahlt der Verbraucher, der keine Wahlmöglichkeiten hat oder der die überteuerten Lizenzen über den Produktpreis mitfinanzieren muss.

      Welche Lösung schlagen sie vor? 

      Da bereits die Androhung von Unterlassungsklagen (eine Erläuterung des Unterlassungsbegriffs finden Sie in unserem Patent-Glossar) die Ergebnisse einer Lizenzverhandlungen zwischen Patentinhaber und dem Unternehmen, das eine Lizenz erwerben möchte, verfälscht, haben wir ein so genanntes Safe-Harbour-Konzept entwickelt. Es geht dabei um einen mehrschrittiger Mechanismus, bei dem das lizenzsuchende Unternehmen in einem festgelegten Zeitraum von zum Beispiel einem Jahr, vor Unterlassungsansprüchen geschützt wird, damit konstruktive und aufrichtige Verhandlungen möglich sind. Damit der Patentinhaber auf der anderen Seite vor Hinhaltetaktiken geschützt ist, müssen die Unternehmen, die eine Lizenz wollen, bestimmte Voraussetzungen erfüllen, z.B. eine Sicherheit für die geforderte Lizenzgebühr auf einem Treuhandkonto hinterlegen und noch einige mehr. Kurz gesagt: Das Konzept schafft für beide Seiten umfassende Verhandlungsanreize und gleichzeitig Druckmittel, um tatsächlich Verhandlungslösungen zu suchen.